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Deutsch-Israelische Tagung „A Phenomenology of Nearness and Distance“
Deutsch-Israelische Tagung „A Phenomenology of Nearness and Distance“
Vom 7.-9. Mai 2025 fand die deutsch-israelische Tagung „A Phenomenology of Nearness and Distance“ an der RPTU in Landau statt. Sie wurde von Anne Kirstine Rønhede (RPTU) und Nikola Mirković (FEST) konzipiert und im Rahmen der Landauer Forschungsstelle für Phänomenologie und Hermeneutik durchgeführt. Zur Eröffnung sprachen der Bürgermeister Lukas Hartmann (Stadt Landau) und Christian Bermes (RPTU), der in seinem Grußwort auf die Bedeutung der Phänomene von Nähe und Ferne in der phänomenologischen Denktradition hinwies. So hat schon Edmund Husserl im Kontext seiner Analysen des Leibes als „Orientierungszentrum“ herausgearbeitet, dass sich die Unterscheidung von nah und fern an allen in der Umwelt gegebenen Dingen aufzeigen lässt. Ein Wechselspiel von Nähe und Ferne lässt sich auch in alltäglichen Kontexten ausmachen, was man sich etwa an der „Unauffälligkeit“ von Straßen und Gehwegen veranschaulichen kann (vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, S. 107). Für Emmanuel Lévinas gewinnt die Dialektik von Nähe und Ferne in der Begegnung mit dem Anderen schließlich eine ethische Dimension.
Vor diesem Hintergrund entwickelte Chiara Pasqualin (Genua) in ihrem Vortrag einen Vorschlag, wie nicht nur Menschen, sondern auch Tiere in ihrer Verletzlichkeit gesehen und verstanden werden könnten. Im Vortrag von Liat Lavi (Bezalel) stand ebenfalls die Erfahrung von Distanz in der Interaktion mit nicht-menschlichen Akteuren im Mittelpunkt. Lavi erörterte, wie unterschiedlich die Kommunikation mit KI-Tools wahrgenommen wird und wie sie sich in Analogie zu spirituellen Erfahrungen interpretieren lässt. Saulius Geniusas (CUHK) entwarf in seiner Keynote eine Typologie von Nostalgie. Er plädierte dafür, dass das zeitlich Ferne in der Erfahrung von Nostalgie nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in Gegenwart und Zukunft verortet werden kann. Auch Yaron Senderowicz (Tel Aviv) thematisierte in seiner Keynote zeitliche Distanz, konzentrierte sich dabei allerdings auf die Komplexität von Gegenwartserfahrungen. Hili Atia (Tel Aviv) trug zu der Diskussion über zeitliche Distanz bei, indem er die Bedeutung von Gleichzeitigkeit in Heidegger seinsgeschichtlichem Denken herausarbeitete. Thomas Fuchs (Heidelberg) nahm in seiner Keynote die besondere Bedeutung des Tastsinns für die Erfahrung von Nähe und Ferne in den Fokus. Durch den Brückenschlag von medizinischen Forschungsergebnissen zur Phänomenologie wurde einsichtig, wie problematisch die Entwicklung zu einer „berührungsarmen“ Gesellschaft ist. Yuval Dolev (Bar-Ilan) präsentierte in seinem Vortrag Forschungsergebnisse der Phänomenologie visueller Wahrnehmung und erläuterte, inwiefern die Vorstellung von privilegierten Blickwinkeln auf metaphysischen Vorurteilen beruht. Die Vorträge von Yael Cherniak (Bar-Ilan) und Antonia Schirgi (Graz) trugen zu einem tieferen Verständnis von sozialer Nähe bei. Während Schirgi eine soziologische Perspektive auf Distanzerfahrungen im Anschluss an Merleau-Ponty entwickelte, beschrieb Cherniak, wie sich das Denken von Buber und Lévinas für das Verständnis von zwischenmenschlichen Begegnungen im Kontext sozialer Arbeit fruchtbar machen lässt. Die Unterscheidung von emotionaler Nähe und Ferne wurde im Vortrag von Nikola Mirković (FEST) in Hinblick auf Ort- und Landschaftserfahrungen, u.a. beim Wandern, erörtert. Anne Kirstine Rønhede (RPTU) und Noam Cohen (Yale) legten in ihren Vorträgen dar, dass Distanzphänomene auch eine ontologische Funktion haben. Cohen interpretierte das menschliche Sich-Verhalten zu Trieben und Instinkten als eine Erfahrung von Distanz zu sich selbst, die für die Konstitution von Personalität unverzichtbar ist. Rønhede schließlich argumentierte für ein phänomenologisches Wahrheitsverständnis, das einen angemessenen Abstand im Verhältnis von Subjekt und Objekt voraussetzt.
Text: Nikola Mirković und Anne Kirstine Rønhede