Phänomenologische Perspektiven
Personen
Leitung: Prof. Dr. Christian Bermes
Kooperationspartner: Prof. Dr. Liangkang Ni
Mitglieder der Forschungsgruppe
Liste der Teilnehmer von der Universität Koblenz-Landau und der Universität Würzburg
- Prof. Dr. Ralf Becker, Institut für Philosophie, Universität Koblenz-Landau
- Dr. Diego D'Angelo, Institut für Philosophie, Universität Würzburg
- Dr. Nikola Mirkovic, Institut für Philosophie, Universität Koblenz-Landau
Liste der Teilnehmer von der Sun Yat-sen Universität Guangzhou:
- Prof. Dr. Wei Zahng, Department of Philosophy, Center for Documentation and Research of Phenomenology, Sun Yat-sen University
- Dr. Christopher Gutland, Department of Philosophy, Center for Documentation and Research of Phenomenology, Sun Yat-sen University
- Dr. Honghe Wang, Department of Philosophy, Center for Documentation and Research of Phenomenology, Sun Yat-sen University
- Dr. Xiaogang Yang, Department of Philosophy, Center for Documentation and Research of Phenomenology, Sun Yat-sen University
Thema
Die Rezeption der Phänomenologie im asiatischen Raum, besonders in Japan, ist stark ausgeprägt. Schon früh studierten japanische Studenten bei Husserl und Heidegger. Husserl selbst hat beispielsweise für die japanische Zeitschrift Kaizo in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Artikeln verfasst. Die Bezüge und Reprisen der Heideggerschen Philosophie zu und in Japan sind vielfach diskutiert. Der Austausch zwischen Japan und Deutschland hat sich mit Blick auf die Phänomenologie kontinuierlich bis heute in beide Richtungen überaus produktiv ent- wickelt, sodass sich eine eigene Tradition der Phänomenologie in Japan ausbilden konnte, die ihrerseits auch wieder auf europäische und deutsche Diskussionen zurückwirkt.
Die Rezeption der Phänomenologie in China verläuft demgegenüber zeitversetzt. Es studierten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts vergleichsweise wenige chinesische Studenten direkt bei Husserl oder später dann bei Heidegger, ebenso verzögerte sich die Übersetzung der Schriften ins Chinesische. 1963 und 1964 erschienen erste Teilübersetzungen von Heideggers Sein und Zeit oder Darstellungen des Husserlschen Denkens. Mit dem Einsetzen der Kulturrevolution verlagerte sich grundsätzlich das philosophische Interesse auf andere Bereiche. Doch ab 1978 hat sich die Rezeption wieder verstärkt und in den späten 80er Jahren wurden einzelne größere Übersetzungsprojekte umgesetzt. Zu nennen sind (in Auswahl) aus diesem Zeitraum etwa folgende Schriften Husserls, Schelers und Heideggers:
- Edmund Husserl, Die Idee der Phänomenologie (Fünf Vorlesungen von 1907), übers. v. Liangkang Ni, Shanghai 1986, Talbei 1987;
- Edmund Husserl, Philosophie als strenge Wissenschaft und Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie (Wiener Vortrag von 1935), aus dem Englischen übers. v. Xiang Lu, Beijing 1987;
- Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, 1. und 2. Teil, übers. v. Qingxiong Zhang, Shanghai 1989;
- Max Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, übers. v. Bojie Li, Guizhou 1989;
- Martin Heidegger, Sein und Zeit, übers. v. Chenjiaying u. Qingjie Wang, Beijing 1987.
1994 wurde die Chinesische Gesellschaft für Phänomenologie gegründet, seit 1995 erscheint The Chinese Review of Phenomenology and Philosophy als Jahrbuch der Gesellschaft. Neben den Universitäten in Beijing, Shanghai, Nanjing und Hangzhou ist es momentan besonders die Sun-Yat-sen Universität in Guangzhou, die als Zentrum der Phänomenologie in China angesehen werden darf. Hier ist in den letzten Jahren eine bedeutende Bibliothek mitsamt einem Forschungszentrum für Phänomenologie eingerichtet worden. Beide Einrichtungen werden mit großem Engagement weiter ausgebaut. Die Einrichtung der Bibliothek zieht eine Vielzahl von Promovenden und Post-Docs aus ganz China an, sodass sich hier ein lebendiges und philosophisch attraktives Milieu des phänomenologischen Austauschs entwickelt hat. Zudem werden in Guangzhou große Editionsprojekte in Angriff genommen, beispielsweise sollen die Gesammelten Werke Schelers ins Chinesische übertragen werden. Ebenso ist mittelfristig eine kritische Edition der Hauptwerke der Münchener und Göttinger Phänomenologen geplant. Hierzu zählen u.a. Alexander Pfänder, Johannes Daubert, Adolf Reinach, Hedwig Conrad Martius, Moritz Geiger, Wilhelm Schapp, Alexandre Koyré oder auch Roman Ingarden und Edith Stein. Die Überlegungen zu diesem Projekt sind momentan noch in der Planungsphase, da zahlreiche Details zu klären sind, die die Auswahl und die Form einer kritischen Übersetzung ins Chinesische betreffen.
Bis zum ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts stand die Rezeption der klassischen Phänomenologie in China im Vordergrund. Mehr und mehr wird diese durch die Auseinandersetzung mit den Traditionssträngen des Konfuzianismus und des Buddhismus angereichert aber auch weiterentwickelt, so dass neue Fragehorizonte erschlossen werden. Es entwickelt sich seit einigen Jahren eine eigenständige und produktive Tradition der Phänomenologie in China, die neue Wege der Phänomenologie sucht, indem zum einen für den chinesischen Sprachraum erstmals eigene kritische Übersetzungen geplant und zum anderen neue systematische Interessen mit der Phänomenologie erkundet werden. Hierzu zählt das aus der kritischen Diskussion der Phänomenologie erwachsende, stetig steigende Interesse an der Kulturphilosophie und der Philosophischen Anthropologie. Gerade das Interesse an diesen beiden Bereichen darf auch vor dem Hintergrund eines kritischen Impulses für die gegenwärtig geradezu rasanten Entwicklungen in der chinesischen Gesellschaft verstanden werden.
Die internationale Kooperation setzt systematisch bei den Perspektiven der Phänomenologie für Kulturphilosophie und Philosophischer Anthropologie an, greift die genannten Entwicklungen auf und erkundet in zwei Workshops die Möglichkeiten einer nachhaltigen und themenbezogenen Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Philosophie an der Universität in Landau und dem Institut für Philosophie an der Sun Yat-sen Universität in Guangzhou. Damit sollen die gemeinsamen Interessen in der Phänomenologie mit Blick auf ihr Potential für die Philosophische Anthropologie und Kulturphilosophie ausgelotet und profiliert werden. Im Kontext des gemeinsamen Austauschs soll – in einem detailliert abgestimmten Arbeitsprogramm mit den Workshops – während einer Auslandsreise und eines Gastaufenthalts ebenfalls diskutiert werden, wie ein Editionsprojekt der Göttinger und Münchener Phänomenologie für eine Publikation in China konzeptionell entwickelt werden kann, um daraus auch neue Erkenntnisse für weitere Editionen zu gewinnen. An beiden Standorten wird intensiv zur Systematik und Geschichte der Phänomenologie, der Kulturphilosophie und der Philosophischen Anthropologie geforscht, und an beiden Standorten hat sich ein dichtes Netzwerk internationaler Promovenden gebildet, die zu diesen Themen ihre Dissertationen schreiben.