Sektionstagung 2025
Aktivismus als Gegenstand der Historischen Bildungsforschung
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU)
Standort Landau
8.-10. September 2025
Kontakt
Prof. Dr. Angelo Van Gorp
Dr. Ami Kobayashi
Dr. Susanne Spieker
ezw-sektionstagung2025(at)rptu.de
Im Mittelpunkt der geplanten Tagung steht der Aktivismus im Kontext des demokratischen National staats, sowohl in den Auseinandersetzungen um seine Entstehung als auch seit der Gründung. Wenn Bürger das Gefühl hatten, dass der Staat versagt, haben sie organisatorische Konstrukte entwickelt, um soziales Handeln neu oder umzugestalten. Dies zeigte sich sowohl in Zeiten des Fortschritts und des Wachstums als auch in Zeiten der Krise. Insofern entsteht das, was wir als Aktivismus bezeichnen, oft als Reaktion auf Situationen, die als ungerecht, unterdrückend und diskriminierend empfunden werden (Weibel 2014). Thomas Humphrey Marshalls Konzept der „sozialen Bürgerschaft“, das allen Bürgern gleiche bürgerliche, politische und soziale Rechte gewährt, ist in diesem Zusammenhang inte ressant (Marshall 1950).
Aktivismus ist oft mit Debatten über die Zivilgesellschaft und die Bürgerrechte verbunden. Aktivis mus geht dann mit zunehmender Unzufriedenheit und einer Entmystifizierung der Demokratie und ihrer Infragestellung einher. Diese Kritik nimmt in Protestbewegungen Gestalt an und findet in der Regel außerhalb von Institutionen statt, während die Aktion, der Kampf, sozialer und emanzipatori scher Natur ist. Aktivismus ist damit sowohl ein Prozess des Nachdenkens über die soziale Welt und des aktiven Eingreifens in sie (Pih/Bruni 2022). Am Austausch von Überlegungen und den praktischen Handlungen können sich im Prinzip alle Menschen beteiligen. Allerdings ist die Art der Beteiligung etwa vom Geschlecht, dem sozialen Hintergrund und der Zugehörigkeit sowie den jeweiligen kulturellen Be zügen abhängig und, je nach ‚Kampfkontext‘, von unterschiedlichen kulturellen Bedeutungen durch drungen. Aktivismus ist daher nicht nur politisch und sozial, sondern auch ideologischer, kultureller und pädagogischer Natur.
Aktivismus kann etwa als eine Form der public pedagogy betrachtet werden, bei der das „Pädago gische“ beispielsweise mit Kultur, Medien, informellen Lernräumen, Formen des demokratischen Ler nens und sozialem Aktivismus interagiert (Sandlin et al. 2011). Wenn wir Aktivismus als public pedagogy verstehen, können wir nachvollziehen, wie Aktivist:innen öffentliche Räume, politisches und so zial und kulturell inspiriertes Denken und Handeln zu pädagogischen Zwecken (neu) gestalten. Im Ver lauf des 19. und 20. Jahrhunderts wandte sich der öffentlich sichtbare Aktivismus gegen soziale Unge rechtigkeiten gegenüber wechselnden marginalisierten, diskriminierten und gefährdeten Gruppen, z. B. Frauen, Menschen, die in Armut leben, ethnische Minderheiten und Menschen mit Beeinträchtigun gen, mit dem Ziel, ihre eigenen Lebenserfahrungen und ihr Wissen zu produzieren, zu teilen und ihnen eine Stimme zu verleihen (vgl. z. B. Degerickx/Roets/Rutten/Van Gorp 2017). Public pedagogy wird dann als ein grassroots Phänomen beschrieben, das den Übergang von sozialer Ungleichheit zu infor miertem Aktivismus fördert und konkrete Veränderungen, beispielsweise in Gemeinschaften und Nachbarschaften, im Gesundheits- und Sozialwesen wie auch im Bildungswesen bewirkt. In diesem Zusammenhang sind es oft Gemeinschaften, die Verantwortung für das Bildungsprojekt im Zusammen hang mit dem Aktivismus übernehmen.
Obwohl häufig zwischen public pedagogy und formalen Bildungsinstitutionen unterschieden wird, lassen sich die Grenzen zwischen schulischen und außerschulischen oder nicht-institutionalisierten Formen pädagogischen Denkens und Handelns nicht aufrechterhalten. Diese Grenzen sind durchlässig; Schule existiert nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum, sondern ist im Gegenteil von politischen, sozialen und kulturellen Annahmen durchdrungen. Es wäre interessant zu untersuchen, wie pädagogi sche Elemente in diesen Räumen von den Praktiken und Darstellungen der formalen Bildung abwei chen, sie problematisieren, stören, ihnen widerstehen oder sie vielleicht auch verstärken. Im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert bildete sich Schule zu einem Ort heraus, an dem soziale Probleme päda gogisiert und damit Teil des versteckten sowie des offiziellen Curriculums wurden. So wurde der Akti vismus gleichsam Teil der Schule und anderer formaler (Bildungs-)Institutionen und von Lehrkräfte wie auch von Schüler:innen und Eltern geprägt. Schulen können Orte der Entwicklung einer engagierten, kritischen Bürgerschaft sein, wie Dewey es in seinen Überlegungen über die Beziehung zwischen Erzie hung und Demokratie formulierte (Dewey 1916/1993). Ein weiteres Beispiel dafür ist die Kritische Pä dagogik des 20. Jahrhunderts, die Lehrer und Lehrerinnen dazu inspirierte, ihre Schüler:innen in trans gressive pädagogische Aktionen einzubinden. Wissenschaftler:innen und Lehrer:innen, die durch ihre Funktion möglicherweise Akteur:innen an der Schnittstelle zwischen formalen Bildungsinstitutionen und deren Ressourcen einerseits und eigenen außerinstitutionellen Zielen andererseits sind, haben das Klassenzimmer für sich genutzt, um z. B. Jugendaktivismus zu inszenieren, um sich kritisch mit ge schlechtsspezifischen Unterschieden und sexueller Gleichberechtigung auseinanderzusetzen und Mit tel zu entwickeln, um die vorherrschenden Pädagogiken die einer demokratischen Staatsbürgerschaft entgegenstehen, zu verstehen und sich ihnen zu widersetzen.
Aktivismus ist also nicht nur die Praxis von Kollektiven, sondern auch von Einzelpersonen; kann in großem, aber auch in kleinem Maßstab stattfinden. Sowohl formale als auch nicht-formale pädagogi sche Kontexte des Aktivismus ermöglichen ausdrücklich eine history from below (Myers/Grosvenor 2018). Darüber hinaus ermöglicht die Beschäftigung mit diesem Thema inter- bzw. transnationale Per spektiven als auch einen Fokus auf Intersektionalität, wie z. B. zwischen Gender und ethnische und soziale Herkunft oder das Verständnis von Aktivismus und den eng damit verbundenen Praktiken der Interessenvertretung (advocacy) und der Organisation von Gemeinschaften (vgl. z. B. Baader/Freytag/ Kempa 2023).
Bibliographie:
Baader, M. S./Freytag, T./Kempa, K. (Hrsg.) (2023). Politische Bildung in Transformation – Transdiszip linäre Perspektiven. Wiesbaden: Springer VS.
Degerickx, H./Roets, G./Rutten, K./Van Gorp, A. (2017). “What kind of silence is being broken?” – A Visual-rhetorical History of the Out-of-home Placement of Children in Poverty in 1990s Belgium. Paedagogica Historica 53(6), S. 707–729.
Dewey, J. (1916/1993). Demokratie und Erziehung: Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik. Herausgegeben von Jürgen Oelkers, aus dem Englischen übersetzt von Gudrun und Harald Hylla. Weinheim und Basel: Beltz.
Marshall, T. H. (1950). Citizenship and Social Class and Other Essays. Cambridge: Cambridge University Press.
Myers, K./Grosvenor, I. (2018). Collaborative Research: History from Below. In K. Facer & K. Dunleavy (Hrsg.). Connected Communities Foundation Series. Bristol: University of Bristol/AHRC Connected Communities Programme.
Pih, D./Bruni, L. (Hrsg.) (2022). Radical Landscapes: Art, Identity and Activism. Liverpool: Tate.
Sandlin, J. A./O’Malley, M./Burdick, J. (2011). Mapping the Complexity of Public Pedagogy Scholarship 1894-2010. Review of Educational Research 81(3), S. 338–375.
Weibel, P. (Hrsg.) (2014). Global Activism: Art and Conflict in the 21st Century. Cambridge, MA: MIT Press.
Wir laden zur Einreichung von Einzel- oder Panelvorschlägen wie auch von Workshops ein, die folgende 6 Themenbereiche mit einem bildungshistorischen Blickwinkel bearbeiten:
1. Aktivismus und Krisen, insb. sozialer Aktivismus, Umweltaktivismus, Kriegs- und Friedensakti vismus, ideologischer Aktivismus
2. Aktivismus und Gender
3. Ethnischer und Kultureller Aktivismus
4. Materialität und Quellen des Aktivismus
5. Räume des Aktivismus , insb. grassroots Organisationen, Aktivismus im Bildungssystem
6. Das ‚Innenleben‘ von Aktivist:innen: Identitäten und Emotionen
Adresse für Einreichungen:
Bitte reichen Sie Ihre Vorschläge unter folgender Adresse ein:
ezw-sektionstagung2025@rptu.de
Wichtige Deadlines:
- Einreichung von Vorschlägen für Vorträge, Panels und Workshops: 31. März 2025.
- Rückmeldung zur Aufnahme der Vorschläge ins Programm: 30. April 2025.
- Tagung: 8.-10. September 2025. Sektionstagung 2025
Formate für Beiträge:
- Einzelvortrag: Reichen Sie einen Vorschlag mit Titel, Abstract mit bis zu 400 Wörter und Lite ratur ein. Vorträge dauern in der Regel 20 Minuten.
- Panel (max. 3 Vorträge): Reichen Sie Titel, Begründung für Thema und Zusammenstellung des Panels mit bis zu 400 Wörtern ein; darüber hinaus reichen Sie Titel, Abstracts mit bis zu 400 Wörterm und Literatur für jeden Vortrag ein. Organisator:innen eines Panels müssen einen Vorsitzenden benennen. Die Vortragenden sollten eine Stunde für die Vorträge einplanen, ge folgt von einer 30-minütigen Diskussion.
Workshop (max. 3 Veranstalter:innen): Ein Workshop konzentriert sich auf methodische The men und/oder spezifische Quellen und beinhaltet praktische Aktivitäten. Reichen Sie einen Vorschlag mit Titel, Begründung und Abstract mit bis zu 500 Wörtern und Literatur ein. Organisator:innen werden gebeten, ihre Sitzung selbst zu leiten/zu moderieren.
Einzelvorträge werden in möglichst homogenen Sessions organisiert. Alle Sessions, einschließ lich Panels und Workshops, werden jeweils 1,5 Stunden dauern.
Tagungssprachen:
- Deutsch
- Englisch
(das Programm wird voraussichtlich im Juni 2025 veröffentlicht)
- Keynote 1
- Keynote 2
- Parallelvorträge
Emerging Researchers’ Conference for the History of Education
5.–7. September 2025, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU)
Standort Landau
Das 16. Forum junger Bildungshistoriker*innen wird vom 5.–7. September 2025 im Vorfeld der Sektionstagung „Aktivismus als Gegenstand der Historischen Bildungsforschung“ (Landau, 8.–10. September 2025) stattfinden. Das Thema der Sektionstagung ist für das Forum der Emerging Researchers nicht maßgeblich, Emerging Researchers sind aber herzlich dazu eingeladen, auch an der Sektionstagung teilzunehmen.
Das Forum richtet sich an alle Emerging Researchers, die zu Themen und Fragen der Historischen Bildungsforschung arbeiten. Wir möchten denjenigen, die eine wissenschaftliche Qualifikationsarbeit (vor allem eine Dissertation) anfertigen, im Rahmen des Forums die Möglichkeit geben, ihre Quellen, Fragestellungen, Strategien und/oder vorläufigen Ergebnisse vorzustellen und zu diskutieren. Grundsätzlich sind jegliche Forschungsarbeiten zielgruppenübergreifend willkommen, ungeachtet des jeweiligen Arbeitsstandes.
Projektskizzen sind auf Deutsch oder Englisch mit einem Umfang von ca. einer Seite sowie mit einer kurzen biografischen Notiz bis zum 31. Mai 2025 an emergingresearchers.histed(at)dgfe.de zu senden. Eine Teilnahme als Gast ohne eigenen Beitrag ist ebenfalls möglich, wobei wir um eine formlose Anmeldung an die oben genannte Adresse bitten. Nähere Informationen zur Organisation des Forums werden außerdem über die Mailingliste der Sektion und über unseren Bluesky-Account @HistEdGER mitgeteilt.
Kontakt:
Stefanie Vochatzer (Paderborn) / Anna Strunk (Hamburg)
Vertretung der Emerging Researcher der Sektion Historische Bildungsforschung
der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE)
Kontakt: emergingresearchers.histed(at)dgfe.de
Gesellschaftsabend
9. Sep. 2025
(genaueres wird noch bekannt gegeben )
Anmeldung unter:
(genaueres wird noch bekannt gegeben )
Preise:
- Studierenden / Assoziierte Mitglieder €
- Mitglieder €
- Nicht-Mitglieder €
Tickets für Mittags-/ Abendessen
- Mittagsessen am 9./ 10. Sep.
- Gesellschaftsabend am 9. Sep
Lage und Anfahrt der RPTU in Landau:
https://rptu.de/anfahrtswege-und-anreise
Campusplan Standort Landau
https://rptu.de/fileadmin/prum/02_Downloads/Lageplan/Landau/RPTU_L_Campusplan.pdf
Lageplan der Außenstellen Standort Landau
https://rptu.de/fileadmin/prum/02_Downloads/Lageplan/Landau/RPTU_L_Standortplan.pdf